Mein Name ist Obada Barmou. 2015 kam ich in die wunderschöne Südpfalz und hier möchte ich Ihnen mehr über meine Geschichte erzählen.
Eine andere Lebenswirklichkeit und in eine andere Zeit
Ich wurde in der ältesten durchgehend besiedelten Stadt der Welt einem Vorort von Damaskus in Syrien geboren und wuchs im Haus meiner Großeltern auf. Der Krieg zwischen den Rebellen und Assads Armee rückte im Jahr 2012 immer näher an die Hauptstadt heran. Im Spätsommer 2012, nach massivem Bombardement durch die syrische Luftwaffe, floh ich mit meiner Familie und meiner damals 87-jährigen Oma vor dem Aufmarsch des syrischen Militärs in den Stadtkern von Damaskus. Wir kehrten zwei Monate später nach Hause zurück, nachdem in der Stadt die Kämpfe aufhörten. Die Sicherheitsbehörden hatten Checkpoints um die Stadt eingerichtet. Unser Haus wurde zerbombt und wir mussten einen Teil des zerstörten Hauses wieder aufbauen.
Der arabische Frühling und der syrische Aufstand hatten mich besonders politisiert. Wir Jugendlichen waren von den Protesten in den benachbarten arabischen Ländern begeistert. Die Zeit des Aufbruchs und des Öffentlichkeitswandels hatte uns stark geprägt. Als die Proteste im Süden des Landes losgingen, hatte ich als Schüler in der siebten Klasse mit Schulkameraden für die Freiheit und die Freilassung von willkürlich verhafteten Jugendlichen aus der Stadt Deraa demonstriert. Diese hatten auf einer Wand in ihrer Schule das Wort „Freiheit“ und „Du bist dran Doktor“ (gemeint war Machthaber Baschar Assad), aufgesprüht. Sie starben durch barbarische, grausame Folterungen im Gefängnis. Diese Bilder hatten mich als Jugendlicher so sehr getroffen, dass ein Schulkamerad und ich uns entschlossen hatten, Demos nach dem Schulende zu planen. Viele Mitschülerinnen und Mitschüler schlossen sich uns an. Wir hatten Plakate und Flaggen mitgenommen und dann „Freiheit“ gerufen. Die Geheimdienste waren in der Regel nach 20 Minuten vor Ort. Tränengas und Gummigeschosse kamen dabei zum Einsatz. Nach der Auflösung der Demonstration, wurden wir protestierenden Schüler verfolgt und teilweise festgenommen. Bei Inhaftierung saß man wenigstens zwei Wochen fest und konnte sich gegen Geld freikaufen und einige blieben bis heute verschwunden.
Nach der ersten Binnenflucht begann eine sehr schwere Phase in meinem Leben. Rebellen hatten erneut die Stadt besetzt. Sie wurden von den Truppen Assads sowie der Hisbollah belagert. Es gab kein Strom, kein Wasser und Lebensmittel wurden nur in begrenzter Menge geliefert. Immer wieder Bombardierungen, sodass wir ständig in Bunkern Schutz suchten. Diese Situation dauerte während der Zeit des Baccalauréat (Abitur) an. Die zentralen Abschlussprüfungen des Baccalauréats fanden an anderen Schulen in benachbarten Orten statt. Ich konnte aufgrund der Stadt-Belagerung an den Prüfungen in Damaskus nicht teilnehmen und dadurch die Schule in Syrien nicht abschließen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die syrische Armee eine Offensive vorbereitet und wollte in die Stadt vorrücken, sodass kein Ein- und Ausfahren aus der Stadt mehr möglich war. Dennoch schafften mein Zwillingsbruder und ich es gegen Bezahlung Damaskus zu verlassen und in den Libanon fliehen. Von dort aus setzten wir unsere Flucht in die Türkei fort. Der Libanon ist für Oppositionelle ebenfalls nicht sicher, da hier die Hisbollah herrscht. Unser Ziel war es, in Sicherheit zu kommen und in einem Land zu leben, indem Menschenrechte unveräußerlich sind und ein rechtsstaatliches Fundament herrschten. So hatten wir uns entschlossen, in Deutschland Schutz zu suchen. Seit 63 Jahren lebte in Deutschland mein Onkel in Südwestdeutschland. Unser Ziel war es, in seine Region zu gelangen. Unser Onkel hatte uns später sehr unterstützt. Ein konventionelles Einreise-Visum bekamen wir dennoch nicht. Wir waren dann mit dem Boot nach Lesbos geflohen. Denn die Türkei war für uns ebenfalls kein sicherer Ort. Die Türkei unterstützte islamistische Gruppierungen in Nordsyrien – und macht dies bis heute noch. Es bestand in unserer damaligen Situation die Gefahr, dass man uns nach Nordwestsyrien abgeschoben hätte, denn kritische Äußerungen gegenüber der türkischen Regierung waren gefährlich.
Über die Balkanroute konnten wir mit Zügen und Bussen nach Deutschland fahren. Die damalige Bundeskanzlerin Merkel hatte entschieden, Flüchtlinge aufzunehmen. Hunderttausende Menschen waren unterwegs. Es war eine unglaubliche Zeit. Von Menschenwürde erfuhr man unterwegs nichts. Ich hatte das Gefühl, dass wir Jahrhunderte zurück in einer anderen Zeit lebten, in der nicht der Mensch im Mittelpunkt stand, sondern wir wie Ware behandelt wurden. Die Flucht war für mich ein einschneidendes Erlebnis, mit einer Zeit der Angst davor und einer Zeit der Hoffnung danach. Es war eine Suche nach einer neuen Identität. Mit das Wichtigste war, die Sprache zu erlernen, um kommunizieren zu können. Am Anfang war es in der Erstaufnahmeeinrichtung schwierig, die Sprache zu lernen, da ich im laufenden Asylverfahren keinen Anspruch auf einen Sprachkurs hatte – ein entsprechender Antrag wurde abgelehnt. Außerdem gab es keine Privatsphäre und ständig Konflikte. Nach der Verteilung in die Kommune nach Neupotz, hatte sich die Situation verbessert. Es gab sehr viele Unterstützerinnen und Unterstützer, die uns geholfen hatten.
In Jockgrim haben wir Familie. Bei unserem Onkel konnten wir ganz viele Sachen über das Leben in Deutschland erfahren und unsere Tante lehrte uns täglich Deutsch. Nach kurzer Zeit konnten wir, durch den Einsatz und Engagement einer Neupotzer Unterstützerin, in die Schule gehen. Die Schulleitung und insbesondere die Oberstufenleitung hatte ein Integrationskonzept erstellt. Wir erhielten Intensiv-Deutschstunden und konnten so unsere, bis dahin dürftigen Sprachkenntnisse, entscheidend verbessern und am Unterrichtsbetrieb teilnehmen. Mein Zwillingsbruder und ich hatten zuhause ab diesem Zeitpunkt nur noch Deutsch miteinander gesprochen, um die Sprache besser zu lernen und zu verinnerlichen. So konnten wir unser Abitur nachholen.
Im Frühjahr 2020 hatte ich mein Abi mit den Leistungsfächern Chemie, Mathe und Geschichte bestanden. Der Abiball war wegen der Corona-Pandemie ausgefallen. Das war sehr traurig und stellte einen schlechten Einstieg zum Studienbeginn dar. In den Ferien und nach dem Abi jobbte ich bei Siemens in der Produktion und hatte dort viel über die Produktion von Leiterplatten gelernt. Mit dem Nebenjob konnte ich meinen Lebensunterhalt in den ersten 2 Jahren, meines Studiums der Technischen Volkwirtschaftslehre am KIT, finanzieren. Nebenbei war ich in dieser Zeit zwei Jahre lang in der Migrationsberatung tätig. Im Sommer 2024 wechselte ich an die Uni Mannheim dem Hauptfach Volkswirtschaftslehre und Beifach Politikwissenschaft.
Besonders der Sozialkunde- und Geschichtsunterricht hatten mich in der Schulzeit sehr interessiert und motiviert, mich einzubringen. Meine Erlebnisse und Erfahrungen in Syrien hatten mich immer wieder beschäftigt und mit sozialisiert.
In Deutschland kann ich mich heute politisch engagieren ohne Angst vor Verfolgung haben zu müssen. Die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ist eine wunderbare Errungenschaft, die längst keine Selbstverständlichkeit auf dieser Welt ist und die es zu schützen gilt.
Meine politischen Stationen
- viele Seminare und Kurse, an denen ich teilgenommen hatte, wo wir zum Teil die friedliche Revolution von 1989 mit dem syrischen Volksaufstand von 2011 und die DDR mit dem Assad-Regime verglichen haben.
- ein Seminar zur Europäischen Union bei der Europäischen Akademie in Bonn.
- selbst organisierte Demonstrationen 2018 und 2019 in Karlsruhe für Demokratie und Frieden in Syrien.
- Demos der Organisation Fridays for future
- Organisation und Konzeption „Theatrale Performance“, ein Theaterprojekt mit Geflüchteten und engagierten Künstlerinnen und Aktivistinnen zur Förderung von Zivilcourage im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus im Jahr 2023 und 2024 in Karlsruhe. Sowie Gründung der Gruppe „Kollektiv & Diversiv“.
- Gründungsmitglied von „Syrian Democratic Alliance“ in Berlin, ein Bündnis von demokratischen und liberalen politischen Oppositionsgruppen
Im Jahre 2020 habe ich dann beschlossen, politisch aktiv zu werden und trat BÜNDNIS 90/Die Grünen bei. So konnte ich mich erstmals beim Bundestagswahlkampf 2021 einbringen, obwohl ich selbst noch kein Wahlrecht hatte.
2022 wurde ich in einer schwierigen Zeit des russischen Angriffs auf die Ukraine zum Ortsverbandsvorsitzenden der GRÜNEN in Jockgrim gewählt. Wir hatten damals Austritte aus der Partei. Den Vorsitz habe ich nach meiner Wahl im Juni 2024 in den Verbandsgemeinderat Jockgrim abgegeben, um dem Prinzip der Trennung zwischen Amt und Mandat gerecht zu werden. Zu meiner Freude hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt die Mitgliederzahl verdoppelt. Ich bin stolz auf den GRÜNEN Ortsverband Jockgrim.
Mein politisches Engagement
2022-2024 Ortsverbandsvorsitzender der GRÜNEN in der VG Jockgrim
2023-heute Ko-Sprecher LAG Migration und Flucht
2024-heute Fraktionssprecher und Mitglied im VG Rat Jockgrim
2024-heute Presssprecher im KV Germersheim
Meine Vita
2003-20015 Schulbesuch in Syrien
2015 Flucht nach Deutschland
2016-2020 Abitur an der IGS Rülzheim
2020-2022 Werkstudent bei Siemens AG
2020-2024 Technische Volkswirtschaftslehre am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
2024-heute Werkstudent bei VR Payment GmbH
2024- heute Student der Volkswirtschaftslehre (VWL) Uni Mannheim